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Werner Hofmann,Tagesthemen

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Duwes „Sonntagnachmittag“ (1956-1960) hängt seit Jahren als Leihgabe in der Hamburger Kunsthalle (Tafel 19, WV. 181). Es ist ein Bild der alltäglichen Verzweiflung, die am siebten Tag der Woche ihren rituellen Höhe- bzw. Tiefpunkt erreicht. Der Vater, ein barberinischer Faun, ist ein banaler Verdauungstäter. Seine Frau – die „Ehegattin“, wie es im Behördendeutsch spießig heißt – hat ihm in der Haltung des Nachdenkens den Rücken zugewendet. Wie ein verrutschter Heiligenschein schwebt hinter ihr der Lampenschirm, ein Prunkstück des Wohnzimmers. Stille, in Mief gehüllt. Kein Streit scheint vorgefallen zu sein – die wiedergegebene Situation ist ein Dauerzustand. Das ist es, was die würgende Realität von Duwes Alltagsallegorien ausmacht. Auf den ersten Blick sind die Zustandbeschreibungen, die sich erst der genauen Analyse als gefrorene gesellschaftliche Fixierung zu erkennen geben. Leben in einer permanenten Betäubung, ausgelöst von den Freiheiten, die in Wirklichkeit Zwänge sind, denn nichts anderes ist ja die Nötigung zum Konsum, die Pflicht, Freizeit in sich hinein zu fressen, die demonstrative Nacktheit der FKK-Strände, aber auch der Reflex, der zum Protestmarsch führt.
Alle, denen unsere Gesellschaft lästig ist, verschaffen sich mit Duwes Bildern eine rasche Genugtuung, denn sie lesen sie als plakative Formeln ihrer Wut und ihres Überdrusses. Ich bezweifle, ob der „Frust“, mit dem man sich salopp kleidet, das Recht hat, seinen Zynismus mit Duwe zu drapieren. Seine Empörung und seine Verletzbarkeit reichen tiefer, sie sind mit Verzweiflung gesättigt. Das heißt nicht, man sollte Duwes Sicht dem sozialen Mitleid oder gar irgendeiner Pathosformel der Tröstung zuschlagen. Weder ist Duwe Nihilist, der die Bestie Mensch kühl durchschaut und mit dem Pinsel bändigt, noch ist er mit der gläubigen Einfalt gesegnet, für welche der Mensch ein armer, blinder Töpel ist, der nicht weiß, was er tut.
Duwes Position ist die eines engagierten Künstlers, aber allemal und ganz entscheidend die eines Künstlers. Er malt ein groteskes Welttheater, aber er malt es als Moralist. Umgekehrt: Er ist Moralist durch und durch, dennoch ist die Welt für ihn keine mehr oder weniger gut eingerichtete Besserungsanstalt, sondern eine Schaubühne, auf der das Absurde Regie führt.
Dieses Welttheater hat drei Schwerpunkte. Am unmittelbarsten fällt der Themenkomplex der offenen Gewalttätigkeit ins Auge. Menschen werden gefoltert und geschunden, Übermacht und Ohnmacht stehen einander unversöhnbar gegenüber, der Mensch ist des Menschen Wolf. Duwe malt keine bedeutungsträchtigen Allegorien, er bezieht sich auf konkrete Situationen, auf die Brutalität, die hier und heute den Stil der weltanschaulichen Konfrontation prägt. Er nimmt Partei für das Aufbegehren und für die Opfer, er denunziert die Fratze der Täter. Dennoch sind das keine Reportagen, es sind Parabeln, in denen das Alltägliche uns eben deswegen berührt, weil es uns mit dem exemplarischen Gestus eines Gleichnisses entgegentritt.
Der zweite Schwerpunkt sind die Kinderbilder. Duwe legt in diesem Themenkreis noch schärfer und mitleidsloser die Ursprünge unserer gesellschaftlichen Rituale bloß. Gier und Neugier, Besitz- und Machtverlangen sitzen diesen Kindern im Blick und in jeder Gebärde. Mit sich allein, tun sie ihrem Spielzeug Gewalt an und schlingen ihre Torten wolllüstig in sich hinein. Sind sie zu zweit oder zu dritt, gilt das Recht der Stärkeren. Das Wort von Wordsworth „the child is father of the man“, wird in diesen antizipierenden Bildern auf beklemmende Weise wahr.
Manchmal, freilich hat der Kinderblick eine wissende Trauer, die auch der schönste Kuchen nicht zu trösten vermag. Da werden schlimme Erinnerungen ahnbar, oder Einsicht in das, was bevorsteht, wird langsam wach. Da verwandelt sich der Junge, der den Verkehrsregler spielt, in die fragende Summe der Ratlosigkeit, die seine Eltern lähmt. Aber auch in ihm, den der Maler offenbar zur heilen Welt der Hülsenbeckschen Kinder in Kontrast gesetzt hat, steckt bereits wie eine Blähung die angemaßte Autorität, welche eine Uniform verleiht.
Die dritte Gruppe bilden Szenen aus der bürgerlichen Freizeitwelt: Sonntagnachmittage, Betriebs-, Familienfeiern, Strand- und Badeszenen –Tagesthemen; Andachtsbilder, in denen Selbstzufriedenheit zur Schau und zugleich in Frage gestellt wird. Geselligkeit, die ihre Langeweile in sich hinunterwürgt; wohlstandsgeile Indifferenz, die keiner menschlichen Regung fähig scheint; der leere, erstorbene Blick, der dem Bildschirm seine Leere zurückgibt.
Das ist das Erschreckende an diesen sachlichen Einblicken in den organisierten wohlbehüteten Alltag; nicht der Geschmackskonformismus tut weh, auch nicht die Stereotypie des Wohlstandspathos und seiner Fetische, sondern die tödliche Starre, die von diesen Puppen ausgeht. Sie sind fremdbestimmt, sie sind Gefangene. Mehr noch; sie sind toter als die Opfer der Gewalttaten. Diese hat der Zeichner und Maler Duwe im Augenblick ihrer physischen Verstümmelung oder Vernichtung in das fortdauernde Leben gerufen, welches das Kunstwerk verbürgt – die satten Sonntagsmenschen hat er lebend in den Tod der Selbstgerechtigkeit gestoßen.
Lauter ganz alltägliche Geschichten, nichts als Tagesthemen. Brutalität und Konsumüberdruss sind nur zwei Seiten ein und derselben Existenzform, zwei Seiten des alltäglichen Grauens. Indes, an den Rändern des menschlichen Rollenspiels, zu dessen Anfang und Ende, kommt hier und da so etwas wie Wissen und Klarsicht auf. Den trotzigen Kindern, denen Zeitvertreib und Hungerstillung keine Antwort geben, antwortet die alte Frau auf dem Triptychon „Liebe“ ( WV. 529) mit einer aus dem Bild herausweichenden Haltung, die von allem Abschied genommen hat. Keine Antwort, kein Trost, nicht einmal mehr Anklage.
Duwe hat gezeigt, wo die wahren Tagesthemen stecken; in den „ganz alltäglichen Geschichten“. (So nennt er sein Triptychon „Liebe“.) Die Zuschauer sind die Akteure, nicht jene, welche auf dem Bildschirm auftauchen. Dort werden Staatsaktionen und Verkehrsunfälle, Verbrecherjagden und Straßendemonstrationen. Sporthelden und Fließbandarbeiter zum Einerlei eines sterilen Bilderbreies vermengt.
Duwes Scharfblick hielt die Dinge auseinander und führte sie zugleich auf ihre gemeinsamen Wurzeln zurück. Wenn den Realisten die Fähigkeit ausmacht, die äußere Wirklichkeit mit innerer Wahrheit aufzuladen, dann war Harald Duwe einer der bedeutendsten Realisten seines geschichtlichen Augenblicks.
Harald Duwes Straßentod – eine „ganz alltägliche Geschichte“ – war für uns alle Mahnung und schier unerträgliches Symbol. Da hatte sich einer sein Leben lang in den Tod hinein gearbeitet wie in ein Gegenüber, in dem sich das andere Ich verbirgt, wie einer, der in der Nacht seinen Tag, in der Bedrohung seine Heilung, im Erschrecken seine Freiheit erfährt - aber nicht seine Erlösung.